Der jüngste Erfolg von Craig Venter auf dem Arbeitsfeld der „synthetischen Biologie“ verführte diverse Journalisten zu reichlich törichten Einschätzungen. Venter hätte „künstliches Leben“ erzeugt, heißt es, oder doch wenigstens „künstliches Erbgut“; Venter würde „Gott spielen“, die Rolle eines Schöpfers spielen; Venter habe etwas „kreiert“, einen „künstlichen Einzeller“ nämlich, das „erste synthetische Lebewesen“. Tatsächlich hat er mit seinem Team all dies nicht gemacht, sondern folgendes.
Er hat ein vergleichsweise sehr großes und sehr komplexes Molekül nachgebaut, hat es aus basischen Bausteinen, wie sie auch die Natur verwendet, in vitro synthetisiert. Eine Säure namens DNA wurde dabei mit genau der Bausteinsequenz kopiert, die schon das natürliche Urbild aufweist. Technologisch stellt das eine enorme Leistung dar, wenn man nur bedenkt, daß es sich bei dem nachgebauten DNA-Molekül um eine Sequenz mit über eine Million Bausteinen handelt. Und das alles in mikroskopisch winziger Größenordnung. Ferner hat er bewiesen, daß die von ihm synthetisierte DNA-Bausteinsequenz als genau das fungiert, als was schon ihr natürliches Urbild fungiert – als sogenannter „Träger einer genetischen Information“. Das nachgebaute DNA-Molekül findet sich naturgemäß in dem Bakterium Mycoplasma mycoides und fungiert dort als „Träger des genetischen Bauplans“, nach dem dieser Einzeller wächst und sich teilt. Das im Glas synthetisierte DNA-Molekül erfüllt nachweislich die gleiche Funktion. Nachgewiesen wurde das auf folgende Weise. Man nahm sich einen verwandten Einzeller vor, das Bakterium Mycoplasma capricolum, entfernte daraus die ihm naturgewäß eigene DNA und pflanzte ihm statt dessen die künstlich synthetisierte DNA ein. Tatsächlich begann darauf das manipulierte Bakterium, einen Lebensprozeß zu vollziehen, zu wachsen und sich zu teilen, und zwar so, daß die Tochterzellen nicht wie Mycoplasma capricolum, sondern wie Mycoplasma mycoides beschaffen sind.
Wie gesagt, technologisch gesehen ein atemberaubend spannendes Geschehen. Richtiggehend kreiert worden allerdings ist dabei lediglich eine Technologie, die ist wirklich neu, und sonst nichts. Wenn denn Kreation an das Erscheinen von etwas Neuen gebunden werden muß. Weder wurde Leben überhaupt kreiert noch ein besonderer Lebensprozeß noch auch nur eine neue „Erbinformation“. Alles ein Nachbau, ein redliches, überaus redliches Abkupfern von der Natur. Außer der von ihnen verdienstvoller Weise entwickelten Technologie haben die „Gen-Ingenieure“ nichts erfunden. Weshalb sie auch völlig unverdächtig sind, Gott zu spielen. Gott hat Leben erfunden, sie habe einen Weg gefunden, jene Erfindung wenigstens punktuell zu kopieren.
Aber ist das manipulierte Bakterium mit dem künstlich eingesetzten und künstlich synthetisierten DNA-Molekül nicht wenigstens ein künstliches Lebewesen? Es ist das fast genauso wenig, wie ein Klon ein künstliches Lebewesen ausmacht, nur weil beim Klonen der Zellkern einer Zelle gegen den Kern einer anderen Zelle ausgetauscht wird.
Schon der Ausdruck „künstliches Erbgut“ mutet unpassend an. Was etwas zum Erbgut macht, ist doch weniger eine bestimmte molekulare Bausteinsequenz als vielmehr der Umstand, daß diese Bausteinsequenz eine ideelle Bedeutung erlangt hat, die Idee von einem Lebensprozeß, die man etwas irreführend als „genetische Information“ bezeichnet. Zusammen mit einem DNA-Molekül wird keineswegs auch künstlich synthetisiert, daß dieses Molekül ideell etwas bedeutet und was es ideell bedeutet. Die dem manipulierten Bakterium eingesetzte DNA ist künstlich synthetisiert, die darauf von ihm materialisierte Idee eines eigentümlichen Lebensprozesses dagegen nicht. Warum nicht? Weil die ideelle Bedeutung einer DNA-Bausteinsequenz keine ihrer Eigenschaften ausmacht, also nichts, was zu den Ergebnissen eines Syntheseprozesses gehören kann. Vielmehr macht sie die Darstellung eines Geistes (spiritus) an ausgezeichneten molekularen Materien aus. Dieser Geist ist das, was die Naturwissenschaft mit ihrem Hang zur anschaulichen Metaphorik als „genetisches Wörterbuch“ oder „Nuklein-Protein-Wörterbuch“ bezeichnet. Ob er sich an naturwüchsig oder künstlich synthetisierten Materien darstellt, bleibt jenem Geist offenkundig gleichgültig. Diese Gleichgültigkeit herausgestrichen zu haben, dürfte der für die Metaphysik interessanteste Punkt an Venters jüngstem Arbeitsergebnis sein.