Die heftige, fast schon militante Abneigung zeitgenössischer Biologen gegen den Vitalismus hat etwas Unheimliches an sich. Daß man die Begriffsbildung vis vitalis verwirft, läßt sich noch nachvollziehen – sie stammt von den Alchimisten. Aber wie sollte dem Leben und Lebewesen eine eigentümliche Lebenskraft (Vitalität, vitalitas) abgesprochen werden können, die aus (physikalischen und chemischen) Energien sich nährt, zugleich über Energie hinausgeht und sich gegebenenfalls als Zeugungskraft (genius), Kraft der Triebe, Willenskraft usw. geltend macht.
Was versteht man unter Vitalismus? Die „Anschauung, daß sich belebte Materie wesensmäßig von unbelebter Materie unterscheidet“ (John Maddox, Was zu entdecken bleibt, Ffm 2000, S. 149). Die Verwerfung des Vitalismus muß mithin behaupten, belebte Materie würde sich nicht „wesensmäßig“ von unbelebter Materie unterscheiden.
Als ich diese Verwerfung kritisch zu überprüfen begann, glaubte ich zunächst, es gelte zu ergründen, ob sich die belebte Materie nicht doch von der unbelebten wesensmäßig unterscheidet. So fragend, hatte ich mich allerdings auf eine ungereimte Wortfügung eingelassen, auf die Fügung belebte Materie. Sie unterstellt, es gäbe zwei Arten der Materie, unbelebt die eine, belebt die andere. Und das ist falsch. Von daher stammt auch die Verwechslung der Leiber mit einer Art von Körpern. Mittlerweile scheide ich so: Es gibt die Materien, die au fond stets und überall noch nicht vital sind, und es gibt die Materialisierungen, die sich allein bei Lebewesen finden. Materie und Materialisierungen – um diese Differenz handelt es sich.
Jede Zelle, jeder Organismus, jedes Lebewesen macht eine Materialisierung aus. Und das heißt: die Verwirklichung einer sogenannten genetischen Information, die Realisierung einer Idee in Materien. Durch dieses Verwirklichen, Realisieren stellen Materialisierungen etwas wesentlich anderes als Materien dar, unbeschadet der Tatsache, daß sie ihrer stets bedürfen, und ohne mit dem Gebilde einer belebten Materie verwechselt werden zu können. Von daher läßt sich das antivitalistische Reden über das Vitale kritisieren.
Abb.: Hendrick De Clerk, Die Lebenskraft des Menschen