Wilhelm Schmids „Die Liebe neu erfinden“

Angelo Bronzino, Alegorie der Liebe (Detail)

Dieses Buch ist ganz schwer zu besprechen, weil von außergewöhnlicher Klugheit. Das macht es einem Rezensenten schier unmöglich, der eigenen Eitelkeit durch noch klügere Kommentare Genüge zu tun. Vor allem läßt es die Kritik an dem einen oder anderen Standpunkt des Autors von vornherein als kleinlich erscheinen. Ich würde gern die von ihm vorgenommene Gleichsetzung des Schönen mit dem Bejahenswerten als eine unspezifische Bestimmung bemängeln, fange damit auch an, um bereits im Ansetzen das schale Gefühl zu empfinden, mit solch punktuellem Raisonnieren das Format des Buches beiweiten zu unterbieten.

Was ist sein Format? Großes und betont systematisch verfahrendes Philosophieren hat sich mit der Liebe stets merkwürdig schwer getan. Es hat über die Liebe immer Aphorismen voller Weisheit und Essais voller Esprit gegeben. Aber in der Systematik der historisch prägend gewordenen Philosophien fand die Liebe auffälligerweise nicht ihren Platz. Aristoteles vermochte die Freundschaft in seinem System einigermaßen denknotwendig zu verorten, Hegel die Familie, Heidegger die sexuelle Differenz … Das Denken der Liebe jedoch blieb dem System, der begrifflichen Architektur, der inneren Logik von Epoche machenden Philosophien äußerlich. Oder aber das, was durchaus konzeptionell eingebunden wurde und an Liebe erinnerte, war bloß ein dürres Moment von ihr, eines, das – wie etwa die Sexualität in Foucaults Texten – durch seine gedankliche Verselbständigung unweigerlich lieblos geraten mußte. Dieses ideengeschichtliche Defizit könnte nunmehr getilgt sein. Auch wenn seine Philosophie der Lebenskunst noch nicht fertig ist und als Philosophie gerade der Lebenskunst vermutlich niemals fix und fertig sein kann, Wilhelm Schmid hat als erster die ungeteilte, ungestutzte, prallvolle Liebe in mitten einer philosophischen Konzeption gedacht. Dies nicht schon deshalb, weil die Liebe innerhalb der offenen Gliederung seiner Philosophie eine Stelle zugewiesen bekommt, vielmehr dadurch, daß er die Liebe als eine Art Mikrokosmos des Menschenkosmos denkt, als das Konzentrat der ganzen „Dialektik des Lebens“.

In einem so weiten und lichten Horizont gibt sie sich preis, offenbart sie sich als das Überschießende, das Übervolle sondergleichen. Sie läßt sich sehr bestimmt denken, aber nur zu dem Preis, daß es immer noch etwas anderes an ihr zu bedenken gibt. Um es mit den Worten des Autors zu sagen: „Liebe ist Sanftmut? Aber oft zeigt sie ein kämpferisches Gesicht. Liebe ist Kampf? Aber ihre größte Stärke ist der Verzicht auf das Gebaren der Stärke. Liebe ist Harmonie? Aber der Gleichklang der Seelen wird immer wieder zerrissen vom Mißklang. Liebe ist ein unendliches Gefühl? Aber eine nicht sehr gefühlvolle Endlichkeit setzt ihr wieder Grenzen. Selbst die tautologische Definition, ebenso tiefgründig wie nichtssagend, ‚die Liebe ist eben die Liebe‘, hilft hier nicht weiter, denn die Liebe birgt in sich zuweilen auch Haß, nicht etwa nur auf den, der ihr im Weg steht, sondern auch auf den, der eigentlich geliebt wird. Auf seine Vergötterung folgt die Verteufelung, auf blindes Vertrauen die große Verbitterung. Die stärkste Erfahrung im Leben kann die Liebe sein, ebenso verzückend wie verheerend. Immer ist sie noch etwas Anderes, Gegensätzliches: Liebe ohne Ende.“

Wilhelm Schmid, Die Liebe neu erfinden. Von der Lebenskunst im Umgang mit Anderen, Suhrkamp Verlag, Berlin 2010, 397 S.

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