Optimismus der Schwäche – Optimismus der Stärke

Es gibt alles zweifach – einmal aus Stärke, einmal aus Schwäche. So auch bei Pessimismus und  Optimismus. Dazu vier Typogramme.

Optimismus der Schwäche. Paul lebt in dem Gefühl einer übermächtigen Abhängigkeit von den Umständen. Tief geprägt ist er von dem Erleben, wie sehr er in seinen Erfolgen und Mißerfolgen von anderen Menschen und äußeren Bedingungen bestimmt wird und wie wenig dagegen in seiner Macht steht. Zugleich ist er ganz intensiv von dem Wunsch beseelt, Erfolg zu haben, es zu etwas zu bringen und überhaupt ein gelingendes Leben zu führen. Untergründige Ohnmachtsstimmung und heißes Erfolgsverlangen – aus diesem Kontrast stammt seine Neigung, die Umstände und ihre künftige Dynamik zu günstig zu beurteilen. Sein Wunsch, als Gewinner abzuschneiden, ist so brennend  und zugleich dermaßen an die Gunst der Umstände gebunden, daß er deren Dynamik sich oft allzu rosig ausmalt, als könnte er nicht zwischen Wunsch und Wirklichkeit unterscheiden. Mit ‚günstigen Aussichten‘ kompensiert er das Gefühl mangelnder Handlungsmächtigkeit.

Pessimismus der Schwäche. Peter kennt dieses beherrschende Gefühl einer defizitären Handlungsmächtigkeit ebenfalls. Bevor er sich fragt, was er selbst tun will, analysiert er sorgfältig,  für welche Handlungen die Mitmenschen und die äußeren Bedingungen überhaupt günstige Voraussetzungen bieten. Um dann zu finden, daß diese Voraussetzungen eigentlich fast immer fehlen. Anders als Paul beurteilt er nämlich die Umstände und ihre künftige Dynamik überwiegend negativ. Wäre er nicht einfach gezwungen, gewisse Dinge doch zu tun, würde er womöglich alles Tun als hoffnungslos verwerfen. Tatsächlich aber projiziert er dabei nur sein eigenes Selbstbild und Selbstgefühl in die Umstände hinein. Es ist eine Projektion seines tiefsitzenden Gefühls eigener Ohnmacht, was ihm die Umwelt als eine von düsteren Aussichten vollends gezeichnete gegenübertreten läßt.

Pessimismus der Stärke. Petra zeichnet von ihrer Umwelt und deren Zukunft ein nicht minder düsteres Bild. Für vieles, was sie mit ihrem Leben eigentlich vorhat, fehlen dort günstige Voraussetzungen. Aber sie zieht daraus den Schluß, daß sie sich etwas einfallen lassen und fehlende Voraussetzungen erst schaffen muß. Sie glaubt daran, noch in der schlechtesten Lage initiativ werden zu können. Es ist einfach nicht ihr Stil, auf andere und anderes zu warten, unwiderstehlich treibt es sie dazu, mit einer Verbesserung ihrer Lage von selbst anzufangen. Dieser Glaube an die eigene Kraft zur ‚Initialzündung‘ erlaubt es ihr auch, die Umstände erznüchtern zu beurteilen und den unverändert düsteren Aussichten unerschrocken ins Auge sehen zu können.

Optimismus der Stärke. Paula interessiert sich nur höchst bedingt für die Aussichten, die man der Welt macht. Ob die günstig oder ungünstig ausfallen, ist für sie von bestenfalls zweitrangiger Bedeutung. So oder so, denkt sie, kommt es vor allem darauf an, was ich für mich und  wir für uns daraus machen. Ob es eine große Gefahr zu bannen oder eine große Chance zu nutzen gilt, kostet in ihrer Sicht die gleichen Anstrengungen und vermag gleichermaßen glücklich zu machen. Die Welt, glaubt sie, kann nur so gut sein, wie wir sie gestalten, und ist genau so schlecht, wie wir sie dem Schicksal überlassen. Es entspricht ihrem Naturell, sich und anderen immer wieder auszumalen, wie schön  die Welt sein könnte, wenn nur genug Menschen weniger an das Schicksal als vielmehr an die eigene Gestaltungskraft glauben würden.

Die fundamentale Lebensfrage, deren Entscheidung erst Moralität eröffnen kann.  Wie ist das Kräfteverhältnis zwischen mir und den Umständen? Bin ich vorzugsweise oder gar ausschließlich Produkt der Umstände, oder bin ich mindestens ebenso Gestalter derselben? Was ist meine Lebensart – bloßes Reagieren oder mindestens ebenso das Agieren? Bin ich ein Opfertyp oder ein Tätertyp? „Du mußt Hammer oder Amboß sein“ – was bin ich? Diese Frage steht lebenslänglich an, immer auf’s Neue.

Und diese Frage ist für Moralität buchstäblich fundamental. Nur wer sich gleichsam als Hammer verortet, eröffnet sich die Wahl zwischen Gut und Böse, und nur wer diese Wahl sich eröffnet, kann überhaupt so etwas wie eine Moral ausbilden. Wer sich gleichsam als Amboß wähnt, entscheidet nicht moralisch, er ist einfach genauso schlecht wie die Umstände. Und schlecht sind die ja fast immer.


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