Ein Ausbund an Intoleranz

Der Satz „Werte brauchen Gott“ impliziert: Die Gottlosen sind die wertlosen. Das ist der derzeit intoleranteste Satz im Berliner Zeitgeist.

Nicht einmal Religion braucht Gott. Eine der Weltreligionen, der Buddhismus, kommt ohne ihn aus.

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2 Kommentare

  1. Werter Herr Schmidt!

    „Die Gottlosen sind die wertlosen.“ Ich stimme Ihnen in dieser Schlussfolgerung aufgrund des Slogans „Werte brauchen Gott“ zu, allerdings nicht mit der Konsequenz Ihrer Wertung, dies sei der derzeit intoleranteste Satz im Berliner Zeitgeist. Lassen Sie mich meine differierende Position erklären und mich hierzu auf Günther Anders, einem von Adorno in Frankfurt abgelehnten Philosoph, beziehen.

    Werte brauchen Gott, könnte laut Anders wie folgt interpretiert werden:
    nämlich, dass in einer Welt ohne Gott, unsere „´moralischen´ und ´unmoralischen´ Handlungen selbst, ob wir es wollen oder nicht, wurzellos im Ozean des moralisch indifferenten Seins herumtreiben, gewissermaßen als ´metaphysische Schnittblumen´, die außer uns Menschen nichts und niemanden etwas angehen, und über deren Folgenlosigkeit wir uns nicht die mindesten Illusionen machen dürfen“ (Anders „Antiquiertheit des Menschen I“, S. 46).
    Und Anders weiter: „Die Aufgabe, die Welt, die noch am Vorabend einen ausschließlich religiösen Sinn gehabt hatte, am nächsten Morgen als eine Angelegenheit der Physik zu akzeptieren; und an Gottes, Christi und der Heiligen Stelle ein Gesetz ohne Gesetzgeber, also ein unsanktioniertes, einfach nur da-seiendes, sinnlos, wenn auch noch so ´eisern´ herumschwebendes Gesetz, nämlich das `Naturgesetz´ anzuerkennen – diese Zumutung, die die geschichtliche Konstellation an den damaligen Menschen stellte, war einfach nicht zu bewältigen. Um so weniger, als dieses Gesetz ja ausschließlich das Seiende determinierte, dieses aber durch und durch; während es sich über Gesolltes (da es derartiges als auffindbar Seiendes ja nicht gab) total ausschwieg, kurz: weil nun plötzlich alles als Eines, nämlich ´Natur´ war“(ebd., S. 300f.). Und in dieser Formel, „alles ist Eines“, enthüllt sich letztlich das wahre Gesicht der Naturwissenschaften. Man horche, so rät Anders, gut in diese Formel hinein, denn „sie […] enthüllt das Wesen des Nihilismus. Sie ist eine ‚Janus-Formel‘: sie besagt ein Doppeltes: Einerseits eben: ‚Alles ist einer Art: nämlich von der Art der Natur‘ […]. Andererseits aber besagt sie, da sie eben nur Gesetze des Seienden kennt: ‚Es gibt nichts Gesolltes; alles ist egal; alles ist erlaubt.‘ Und stellt damit die Grundformel des radikalen und programmatischen Amoralismus dar.“
    Mit anderen Worten: Die Naturwissenschaften, die Gott verneinen, müssen sich aus diesem Grunde über Gesolltes ausschweigen. Die Frage nach der Moral, nach Gut und Böse, wird bei ihnen ausgeklammert. Moralische Werte benötigen Gott. Denn ohne ihn bleibt Gesolltes beliebig.

    In diesem Sinne könnte man den Satz: „Die Gottlosen sind die wertlosen“ auch wie folgt interpretieren: „Die Gottlosen sind die Wert-losen.“ Einmal in dem Sinne, dass sie los-gelöst von gottgegebenen Werten und damit einhergehend in ihrer Wertfindung frei sind (hier könnte KANTs kategorischer Imperativ ins Spiel kommen). Oder in dem Sinne, dass ihre Werte lose, also Gott-ungebunden, sind.
    In diesem Kontext glaube ich, lässt sich auch der viel zitierte Werteverfall neu bewerten. Es handelt sich bei ihm meiner Meinung nach weniger um einen Verfall von Werten, als vielmehr um eine Wertebeliebigkeit aufgrund eines Werte-Zerfalls. Wo die zusammenhaltende Kraft Gottes (oder einer Ideologie, oder einer transzendent ausgerichteten Religionsphilosophie/ Bsp. Buddhismus) nachlässt, zerfallen Wertesysteme in ihre Einzelteile. Beliebig, weil nur auf sich gestellt, greift der (ungläubige) Mensch nach diesen Einzelteilen. Es sei abschließend die Frage erlaubt: Wer mag dieses Entstehen eines Pluralismus, entgegen Dogmatismen, eigentlich bedauern? Antwort: Die Kirche tut´s.

    Liebe Grüße,
    P. Krüger

  2. ERGÄNZUNG:
    „Werte brauchen Gott“ meint meines Erachtens nicht, ohne Gott seien keine Werte. Vielmehr ist der Kontext berührt, der durchschimmert, wenn man sagt: „Ein Kind braucht seine Mutter.“
    Gemeint ist also: Werte brauchen Gott, um legitimiert, um verbindlich zu sein, nicht aber, um überhaupt zu sein. Aus dem Satz „Werte brauchen Gott“, spricht deshalb auch weniger Intoleranz denn Angst.

    Sehr geehrter Herr Krüger,
    Ihre Deutung des Doppelsinns von „die Wertlosen“ (im ersten Teil der Kommentierung) trifft ein echtes Phänomen und gibt zu denken.
    Wohlan, gemeint sei: „Werte brauchen Gott, um legitimiert, um verbindlich zu sein, nicht aber, um überhaupt zu sein.“ Und wenn das gemeint ist bzw. weil das gemeint sein kann, sollte die strittige Formel nicht als intollerant abqualifiziert werden. Für Wittgenstein etwa ließe sich leicht zeigen, daß er derlei im Sinne hatte, als er sich für religiös gesetzte Werte und gegen von Menschen selbst begründete Werte entschied. Das Begründen von Werten würde zum endlosen Hinterfragen und Begründen von Begründungen ausufern.
    Es gibt nun aber nicht nur das Gemeinte, das, was ein Satz meint und meinen soll, es gibt auch die Implikationen eines Satzes, das, was ein Satz – möglicherweise sogar gegen das Gemeinte – alles stillschweigend impliziert. Und wie steht es um die Implikationen im strittigen Fall? Wenn Wertsetzungen es ohne göttlichen Befehl nicht zur Legitimität und Verbindlichkeit bringen, impliziert das dann nicht, diese Werte seien illegitime und unverbindlich flatterhafte? Und unterstellt das wiederum diese Wertorientierungen nicht als eigentlich wertlose? Und als was werden Menschen unterstellt, die sich quasi wertlosen Werten verschreiben?

    Mit besten Grüßen
    Hartwig Schmidt

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