Leib und Seele – Hegel

Leib und Seele sind unterschieden, das versteht sich. Mindestens ebenso versteht sich, jedenfalls für Hegel, wie sehr der Unterschied die Identität an sich haben muß, und also Leib und Seele eine Einheit bilden werden. Für die Einheit oder Identität beider macht er nun folgendes geltend: Man dürfe sie nicht wie einen „bloßen Zusammenhang auffassen, sondern in tieferer Weise“. Worin besteht die tiefere Auffassung, die Leib und Seele nicht einfach zusammenhängen läßt? Beide seien zwar unterschieden, aber doch nicht wie „Unterschiedene, welche zusammenkommen“, vielmehr würden sie „dieselbe Totalität derselben Bestimmungen“ bilden. Gewissermaßen dieselbe Totalität in unterschiedlichen Hinsichten, Weisen. Die Seele sei diese Totalität „als in sich subjektive ideelle Einheit“ und der Leib dieselbe Totalität als „die Auslegung und das sinnliche Außereinander aller besonderen Seiten“. Mit anderen Worten, die Seele ist auf eingefaltete Weise das, was der Leib auf auseinanderlegende Weise ausmacht. Mit abermals anderen Worten. Die Seele ist ganz raumlos und rein zeitlich dasjenige, was der Leib räumlich ausgebreitet ausmacht. – Hierbei handelt es sich um eine Position, die doch einigermaßen anders ausfällt als jene Auffassungen, die Hegel ideengeschichtlich bereits vorgefunden hatte. Um das im direkten Vergleich zu verdeutlichen.

Nach Aristoteles stehen Leib und Seele wie Materie und Form zueinander, der Leib als Materie, die Seele als Form. Das heißt auch, daß die Seele „weder ohne Körper noch ein Körper“ ist, sondern „etwas am Körper“– nämlich als Form an der Materie. Die Seele als etwas am Leibe. Das wird noch Nietzsche als eine zwischenzeitlich verschütt gegangene weise Einsicht herauskehren: „Seele ist nur ein Wort für ein Etwas am Leibe“. Ideengeschichtlich bedeutsam geworden ist noch die umgekehrte Zuordnung von Leib und Seele. Sie findet sich in Überlegungen, die Leibniz während einer bestimmten Schaffensperiode angestellt hat. Danach ist die Seele eine Substanz, d. h. etwas, was von selbst zu bestehen vermag, statt nur an etwas anderem bestehen zu können. Dagegen der Leib „keine Substanz, sondern ein Phänomen“ sei, etwas rein Erscheinendes, das einzig und allein in der Perzeption der Seele, in ihrem Empfinden auftaucht. Als dieses Phänomen aber ist der Leib ein Etwas an der Seele. Das ist die im Vergleich mit der aristotelischen Auffassung genau umgekehrte Zuordnung: der Leib als etwas an der Seele. Von der einen wie der anderen Zuordnung hebt sich die hegelsche Position ab. Weder sei der Leib ein Etwas an der Seele noch die Seele ein Etwas am Leibe, sondern beide machen eben „dieselbe Totalität“ aus, und das heißt, sie sind gleich statuiert.

Ferner hebt sich diese Position von Auffassungen ab, die einerseits Descartes und anderseits Spinoza bekannt gemacht haben. Descartes zufolge sind Leib und Seele beide Substanzen. Der Leib die ausgedehnte, nicht denkende Substanz, die Seele die denkende, nicht ausgedehnte Substanz. Als eine Substanz, als etwas von selbst Bestehendes also, muß die Seele auch getrennt von einem Körper ein Bestehen haben können. Im Lebewesen sind beide zusammengekommen, hängen sie miteinander zusammen. Und dieser ihr Zusammenhang soll in einer gewissen Mischung und vor allem in Wechselwirkungen zwischen ihnen bestehen. Anders als für Descartes sind für Spinoza Leib und Seele beide keine Substanzen, sondern Modi einer von ihnen unterscheidbaren Substanz, der einzigen, die es überhaupt gebe. Über diese eine und einzige Substanz aber hängen sie miteinander zusammen, bilden sie einen Zusammenhang. Anders als in der cartesianischen Sicht wird der Zusammenhang von Leib und Seele durch Spinoza zwar als unzertrennlich und frei von Wechselwirkungen gedacht, aber doch als ein Zusammenhang.

Genau das ist der Punkt, gegen den Hegel seine Auffassung abzusetzen sucht. Er sieht Leib und Seele gerade nicht zusammenhängen, weder in einer auflösbaren noch in einer unauflösbaren Weise. Das war von ihm ja ausdrücklich herausgekehrt worden: Nicht als „Zusammenhang“ will die Einheit von Leib und Seele gedacht werden, „sondern in tieferer Weise“. Die tiefere Weise wird noch verfehlt, wenn man Leib und Seele ein Ganzes bilden sieht. Hegels Rede von der Totalität mag dazu verführen, die Einheit von Leib und Seele wie ein Ganzes zu denken. Aber ein Ganzes ist der Zusammenhang von Teilen. Während die Einheit von Leib und Seele überhaupt nicht als Zusammenhang genommen werden soll, weder als einer von Teilen noch als ein Zusammenhang anderer Art.

Sowohl das Anheften der Seele an den Leib und umgekehrt als auch die Annahme eines Zusammenkommens und Zusammenhängens beider werden von Hegel vermieden oder sogar verworfen. Man muß sich vergegenwärtigen, was er alles aus dem Philosophieren über Leib und Seele ausscheiden läßt, nachdem er sich geweigert hat, die beiden schlicht als Unterschiedene zu plazieren, die erst (nachträglich) zusammenkommen. Zusammenhang von Leib und Seele, das ist immerhin auch das, was Descartes als Kausalität zwischen ihnen, in der einen Richtung wie in der anderen, und als Wechselwirkung ausgemacht hatte und was bis heute unter dem Titel „Kausalität aufwärts“ (Vom Leib zur Seele) und „Kausalität abwärts“ (von der Seele zum Leib) in gewissen Richtungen der „Philosophie des Geistes“ geführt wird. Ohne Zusammenhang keine Kausalität und Wechselwirkung. An Hegels Bedenken gegen den mangelnden Tiefgang des Denkens im Zusammenhang könnte mitnichten ein tiefsinniges Reden über Kausalität und Wechselwirkung zwischen Leib und Seele angeschlossen werden. Nicht folgerichtig angeschlossen werden könnten daran beispielsweise die so einleuchtend anmutenden empirischen Befunde zu kausalen Verknüpfungen zwischen gewissen Verletzungen des Leibes und solchen der Seele. Das heißt, Befunde von einer Art, wie sie in den einschlägigen meßwütigen Wissenschaften gang und gebe ist.

Und dennoch kommt jenes Bedenken von wegen mangelnden Tiefgangs beim Denken im Zusammenhang nicht ohne Folgerichtigkeit. Offenkundig ist für Hegel die Seele kein Ding, auch kein geistiges. Wie sollte da das ausgesprochene Ding namens Leib der Seele anhaften oder ihr als Träger dienen können? Seine Naturphilosophie hat er sozusagen raumorientiert angelegt; er läßt sie nicht mit dem Begriff der Zeit einsetzen, sondern mit dem des Raumes. Die Seele jedoch, das wußte er, ist kein Raum und nicht im Raum gegeben. Sie ist kein ausgedehntes Ding, wie Descartes ganz recht festgehalten hatte. So hat sie auch keinen Ort, befindet sich nicht innerhalb des Leibes noch außerhalb desselben noch auch andernorts. Kein Wunder, daß ein prominenter Chirurg einmal eingestand, er habe schon viele menschliche Körper geöffnet und wieder verschlossen, auf so etwas wie eine Seele aber sei er in deren Innern niemals gestoßen. Weder im Ortssinn noch in einem anderen Sinne läßt sich die Seele als etwas räumlich Beschaffenes und im Raum Gegebenes begreifen. Und wie sollte etwas mit dem Leib zusammenkommen und zusammenhängen, das seinerseits gar nicht räumlich gegeben ist? Zusammenzukommen und zusammenzuhängen vermag nur das, was räumlich beschaffen ist, im Raum besteht; denn aller Zusammenhang ist räumliche Beziehung, ausgedehnte Beziehung, eine Beziehung zwischen etwas Ausgedehntem Es kommt folgerichtig, wenn Hegel dies für Leib und Seele in Abrede stellt. Dadurch bleibt ihm jene Ungereimtheit erspart, die Descartes unterlief, als er die Seele zwar für nicht ausgedehnt erklärte, ihr nichtsdestotrotz aber zuschrieb, einen Ort zu haben, im Gehirn verortet zu sein.

Auch wenn Leib und Seele unmöglich bloß zusammenhängen können, weil sie nicht beide räumlich gegeben sind, so müssen sie doch in einer Beziehung stehen, sogar in einer dynamischen Beziehung, in einer prozessierenden. Und die bestehe eben in dem Prozeß dessen, was beide als dieselbe Totalität ausmacht. Der Leib ist danach das sinnliche Auseinanderlegen dessen, was die Seele als ideelle Einheit ist. Darin liege ein richtiggehender Widerspruch. Nichts anderes aber als das „Setzen und Auflösen des Widerspruchs von ideeller Einheit und realem Außereinander der Glieder macht den steten Prozeß des Lebens aus, und das Leben ist nur als Prozeß.“

 Abb.: Erwin Eisch, Mit Leib und Seele

 

 

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