Negative Dialektik – Adorno

VON DER DIALEKTIK DER NEGATIVITÄT ZUR NEGATIVEN DIALEKTIK

Hegels Denkweise ist um das Prinzip der Negativität zentriert. In der geisteswissenschaftlichen Entwicklung des 20. Jahrhunderts wird dem Prinzip mehrfach widersprochen. Sigmund Freud (1856 – 1939) beispielsweise widersprach ihm mit seiner Entdeckung eines ganzen psychischen Kontinents – des Unbewußten, des Reichs der Triebe, des Es im Unterschied zum Ich und Über-Ich. Bei dieser Entdeckung stößt Freud auch auf einen Tatbestand, der jenem Prinzip entgegensteht. Das Prinzip unterstellt, daß ein jedes sein Negatives an sich hat. Während Freud findet, daß es im Unbewußten, im Es gar keine Negation gibt. Wie es dort auch keine Zeit geben soll. Im Es finde sich nichts, was der Negation vergleichbar wäre. Demzufolge will die Beziehung der beiden Grundtriebe aufeinander, die von Erostrieb und Destruktionstrieb, ohne den mindesten Gedanken an Negation verstanden werden. Ebenso kann demzufolge nicht länger unterstellt werden, alles habe sein Negatives an sich. Den unbewußten Trieben muß so etwas schlicht abgehen. Dialektik der Negativität muß dort eigentlich ausbleiben. Auf diese und ähnliche Weise hat das Prinzip der Negativität bereits seit längerem theoriegeschichtlich eine gewisse Relativierung erfahren, so auch durch Heinrich Rickert (1863 – 1936) oder Gilles Deleuze (1925 – 1995). Allerdings geschah das, ohne daß daraus jemand auch nur den Ansatz zu einer Neukonzipierung der Dialektik gewonnen hätte.

Das ändert sich, als in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts Theodor W. Adorno (1903 – 1969) Hegels Begriff der Negativität einer kritischen Prüfung unterzieht. Er wird vermittels dieser Kritik versuchen, Dialektik anders als Hegel zu projektieren. Anlauf dazu nimmt er in mehreren Texten, von denen an dieser Stelle zumindest zwei Erwähnung finden müssen.

Der am meisten und am intensivsten gelesene, gedeutete und diskutierte Beitrag Adornos zum dialektischen Denken dürfte in dem gemeinsam mit Max Horkheimer (1895 – 1973) verfaßten Buch „Dialektik der Aufklärung“ bestehen. Den Denkformen nach zu urteilen, die dort Anwendung finden, zeigt sich dieses Buch nachhaltig inspiriert von der Verkehrungsdialektik, die Hegel in seiner „Phänomenologie“ betreibt und zu der er seinerseits schon die Anregung bei Jean Jacques Rousseau (1712 – 1787) vorfand, bei dessen Versuch zu zeigen wie „in unserem aufgeklärten Jahrhundert“ der Fortschritt der Wissenschaften und Künste sich in einen Verfall der Sitten verkehrt. Das Buch untersucht die „Selbstzerstörung der Aufklärung“: Unter Aufklärung wird dabei nicht lediglich eine literaturgeschichtliche Periode neben Sturm und Drang, Weimarer Klassik und Jenaer Frühromantik verstanden, sondern ein weitläufiger historischer Prozeß, der bereits in der Antike anhebt. Dessen Selbstzerstörung wird thematisiert. Die Betonung liegt dabei auf das „Selbst“ in Selbstzerstörung“. Es wird nachgezeichnet, wie sich fortschreitende Aufklärung kraft ihres eigenen Prinzips und ihrer eigens entwickelten Institutionen zu jenem gesellschaftlichen Rückschritt verkehren konnte, der zur Zeit der Niederschrift vor allem als „internationale Drohung des Faschismus“ fühlbar war. An Hegels Verkehrungsdialektik erinnert besonders eine Einsicht Adornos. Was den historischen Prozeß der Aufklärung sich verkehren, was ihn buchstäblich pervertieren läßt, ist nicht ein gewisser Kreis von äußeren Umständen und auch nicht ein übermäßiges Betreiben, sondern sein eigenes Prinzip. Und sein Prinzip bilde die um des Menschen Herrschaft über die Natur zentrierte Freiheit. Die sorge dafür, daß ausgerechnet die Aufklärung in Mythos zurückschlägt. Der Mechanismus soll ungefähr der sein: Um der Selbsterhaltung willen und der dazu angestrengten Herrschaft über die Natur zuliebe, muß der rastlos sich aufklärende Mensch schließlich auch die eigene, innere, menschliche Natur beherrschen, unterdrücken, auflösen, und also gerade das angreifen, was eigentlich erhalten werden sollte. Mit solchen Überlegungen hält die „Dialektik der Aufklärung“ eine der besonders beeindruckenden Figuren lebendig, die Hegel in der „Phänomenologie“ ausführt. – In dem Buch „Minima Moralia“, das manche für das eigentliche Hauptwerk Adornos halten, weist er seine Methode noch ausdrücklich als eine an der Hegelschen geschulte aus; gleichwohl dieser die Methode auf dem Spannungsfeld Individuum-Gesellschaft nicht wahrhaft ausgetragen habe.

Zu einer bis auf die Denkformen durchschlagenden eigenständigen Konzipierung der Dialektik setzt Adorno dann unter dem programmatisch gemeinten Begriff „Negative Dialektik“ an, nachlesbar in einem späteren Buch, das den Begriff im Titel trägt , nachlesbar auch in einer einschlägigen Vorlesung. „Negative Dialektik“ klingt ganz ähnlich wie „Dialektik der Negativität“, welche Hegel im Sinn hatte. Tatsächlich zieht Adorno unter diesem Titel einen richtiggehenden Schnitt, einen, der gleich in den ersten Zeilen des Buchs vollzogen wird: „Die Formulierung Negative Dialektik verstößt gegen die Überlieferung. Dialektik will bereits bei Platon, daß durchs Denkmittel der Negation ein Positives sich herstelle; die Figur einer Negation der Negation benannte das später prägnant. Das Buch möchte Dialektik von derlei affirmativem Wesen befreien, ohne an Bestimmtheit etwas nachzulassen. Die Entfaltung seines paradoxen Titels ist eine seiner Absichten.“

Die Absage an ein Dialektikverständnis, das die Negation und zumal die Negation der Negation etwas Positives herstellen sieht, adressiert Adorno in der Ausführung sogar vornehmlich an das Prinzip der Negativität, wie es die Seele Hegelscher Dialektik ausmacht. Zu dieser Seele konnte das Prinzip nur werden, weil es konsequenterweise auch auf sich selbst Anwendung fand. Ihm zufolge hat schließlich ein jedes sein Negatives an sich; folglich muß schon das Negative sein Negatives an sich haben und also alles Negative auch positiv ausfallen. Deshalb der Satz, den Hegel als den logischen Satz herausstellt, daß das Negative eben so sehr positiv sei. Ohne daß diese Konsequenz gezogen wurde, wäre die von Hegel praktizierte Methode allerdings undenkbar geblieben. Daß das Negative eben so sehr positiv ist und was daraus für die Figur einer Negation der Negation folgt, darin erblickt Adorno den Anflug von „affirmativem Wesen“, aus dem er die Dialektik befreien will, in Gestalt der Negativen Dialektik.

DIALEKTIK ALS DAS KONSEQUENTE BEWUßTSEIN VON NICHTIDENTITÄT

Was macht die Negative Dialektik positiv aus, was soll ihr eigentümlich sein? Mit der Absicht, in sie einzuführen, stellt Adorno sie folgendermaßen vor: „Es handelt sich um den Entwurf einer Philosophie, die nicht den Begriff der Identität von Sein und Denken voraussetzt und auch nicht in ihm terminiert, sondern die gerade das Gegenteil, also das Auseinanderweisen von Begriff und Sache, von Subjekt und Objekt und ihre Unversöhntheit artikuliert.“ So wird sie augenscheinlich als das „Gegenteil“ eines anderen Philosophierens vorgestellt. Das wird dann genauer benannt als das idealistische, ja als das traditionelle Philosophieren überhaupt. Dessen „Lebensnerv“ bilde die „These von der Identität zwischen dem Begriff und seiner Sache“. Der Begriff und die Sache, der Begriff und sein Gegenstand, das begriffliche Denken und seine Gegenstände, das Denken und das Sein, das es zum Gegenstand hat – die werden als identisch, adäquat, übereinstimmend genommen, so daß „die Sache an sich ihrem Begriff entspreche“, und der Begriff seiner Sache. Das sei der „Anspruch“ und das „Ziel“ jenes traditionellen Philosophierens. Und darin besteht auch sein „Fehler“, um nicht zu sagen, seine „Hybris“. In Wahrheit sind das begriffliche Denken und seine Gegenstände niemals identisch, gehen die Gegenstände in ihren Begriffen keineswegs auf, besteht zwischen ihnen vielmehr, wie es heißt, Nichtidentität oder Inadäquanz. Eben das soll Dialektik herauskehren, artikulieren, zur Geltung bringen. Ihr eigentümlich sei, das „konsequente Bewußtsein von Nichtidentität“ auszumachen.

Ein solches Bewußtsein hebt damit an, die Nichtidentität schlicht zu erkennen, einfach zu ermitteln, wie, in welchen Hinsichten die jeweils fraglichen Begriffe mit ihren Sachen differieren. Was eher nicht spontan, vielmehr nur mit einer gewissen Vorsätzlichkeit geschehen kann, verführt doch die logische Form des Begriffs von sich aus dazu, an die Übereinstimmung mit der gemeinten Sache zu glauben. Es mag das Urteil vorliegen, so versucht Adorno eine Erläuterung, daß jemand ein freier Mensch sei. Ein Urteil, das den Begriff der Freiheit auf die Lebenslage dieses Menschen wie auf einen Gegenstand bezieht. Sodann läßt sich folgendes ersehen. Zum einen ist der Gegenstand mehr als der Begriff. Dieser hält an der Lebenslage ein Merkmal fest, das sie mit den Lebenslagen anderer Menschen teilt, ein ihnen gemeinsames Merkmal, ein allgemeines, in welchen Grenzen immer. Der Begriff hält dieses Merkmal für sich fest, unter Absehung von anderen Merkmalen. Unter Absehung etwa von solchen, die diese Lage zu einer typisch-besonderen und individuell-einzelnen machen. Mit ihnen ist der Gegenstand mehr als der auf ihn angewandte Begriff, reicher als er. Oder umgekehrt, der Begriff ist insofern inhaltlich ärmer als der Gegenstand. Soweit die eine Seite der zu erkennenden Nichtidentität. Zum anderen fällt der Begriff der Freiheit reicher aus, als die Lebenslage, auf die ihn besagtes Urteil bezieht. Und zwar reicher durch gewisse Implikationen. Er mag schon ein definierter Begriff sein, als einer der Freiheit und angesichts jener Lebenslage kann er nicht anders, als daß er über dasjenige, was an dieser Lage tatsächlich frei ist, etwa das formell Freie, auf implizite Weise „hinausgeht, wesentlich darüber hinausschießt“. Seine Implikationen – gewisse „Anweisungen“, wie Adorno das nennt – gilt es zu explizieren, um die Nichtidentität von Begriff und Gegenstand zu erkennen.

Entsprechend liegen die Dinge bei jedem denkbaren Fall. Stets ist der Begriff zugleich weniger und mehr als sein Gegenstand, in einer Hinsicht ärmer als er, in anderer Hinsicht reicher. Darin wird die Nichtidentität beider gesehen. „Dieses Verhältnis, daß der Begriff immer zugleich weniger und zugleich mehr ist als die Elemente, die unter ihm befaßt werden, – dieses Verhältnis ist nun nichts Irrationales, nichts Zufälliges, sondern die philosophische Theorie, die philosophische Kritik kann dieses Verhältnis und muß dieses Verhältnis bis ins einzelne bestimmen.“

Es fragt sich allerdings, ob der gerade zusammengefaßte Gedanke dem idealistischen und traditionellen Philosophieren tatsächlich so sehr entgegensteht, wie Adorno das angibt, mit anderen Worten, ob dieses Philosophieren den Begriff und seinen Gegenstand wirklich so identifiziert, wie er es ihm anlastet. Gewisse Aspekte dessen, was er Nichtidentität nennt, sind den Philosophien vergangener Epoche doch vertraut gewesen. Etwa daß alle Begriffe abstrahieren, von den meisten Bestimmungen, Merkmalen oder Eigenschaften ihrer Gegenstände absehen. Um dieses Phänomen von „Inadäquanz“ hat man in der Geschichte der Philosophie zumeist gewußt. Was man dagegen – ebenfalls zumeist – übersehen hat, ist, daß das Abstrahieren der Begriffe ein ernstzunehmendes Problem darstellt, eines, das man nicht reaktionslos auf sich beruhen lassen kann, auf das eigentlich mit geeigneten Denkweisen zu reagieren war, das nach Lösungen verlangt. Einen gewissen Aspekt dieser Problematik wurde von Friedrich Nietzsche in einer frühen Schrift thematisiert. Daß Begriffe wie z. B. „Ahornblatt“ von der Besonderheit und Einzelheit eines jeden Ahornblattes abstrahieren, nahm er zum Anlaß, dem begrifflichen Denken eine grundsätzliche Lügenhaftigkeit „im außermoralischen Sinne“ zu bescheinigen. Adorno nun thematisiert das Auseinanderweisen des begrifflichen Denkens und seiner Gegenstände nicht nur unter einem bestimmten, außermoralischen Gesichtspunkt, sondern uneingeschränkt als ein Problem, dem das Philosophieren sich mit geeigneten Erkenntnismitteln stellen muß. In dieser Richtung dürfte sich sein ideengeschichtlicher Beitrag genauer verorten lassen.

SELBSTWIDERSPRUCH

Als eine in dem angegebenen Sinne problematische Beziehung erfährt das Auseinanderweisen des begrifflichen Denkens und seiner Gegenstände eine Thematisierung, indem es des Widerspruchs überführt wird. Denn in der Gestalt des Widerspruchs ist die Nichtidentität unbedingt etwas, das man laut Tradition nicht auf sich beruhen lassen kann.

Einen Widerspruch sieht Adorno die Nichtidentität nicht schon an sich bilden, sondern erst in einer gewissermaßen verwandelten Form. Die erblickt er darin, daß das Auseinanderweisen, das den Begriff und seine Sache noch einander gleichgültig bleiben läßt, sich zu einer regelrechten Konfrontation zusammenzieht, kurzschließt. „Widersprüchlichkeit“ sei „die denkende Konfrontation von Begriff und Sache“.

Zu dieser Konfrontation kommt es auf eine recht verwickelte Weise. Begriffliches Denken ist seiner logischen Verfassung nach sehr wohl auf Identität aus, es gehorcht der „hergebrachten Norm der adaequatio“, es folgt notwendig dem Anspruch auf das Entsprechen, Korrespondieren, daß man nicht selten Wahrheit nennt. Aber in diesem Sog geschehend, muß das Denken sich selbst widersprechen, wenn es seine Nichtidentität mit dem Gegenstand aufdeckt. In diesem Sinne konditioniert Adorno: „Der Widerspruch ist das Nichtidentische unter dem Aspekt der Identität.“ Genau genommen spricht er vom Widerspruch in der besonderen Form des Selbstwiderspruchs. Das macht verständlich, wieso ein Widerspruch, der in der Konfrontation von Begriff und Sache gesehen wird, ebensogut ein „Widerspruch im Begriff“ sein soll, und dieserart ein „immanenter“.

Von dem „widerspruchsvollen Charakter des Begriffs“ hebt Adorno den „widerspruchsvollen Charakter der Realität“ ab. Das Modell für den letzteren soll folgendes Phänomen hergeben: Eine Gesellschaft, die er im Anschluß an eine Wortwahl von Marx die antagonistische nennt, wie auch die unsrige, eine solche Gesellschaft „überlebt durch das, was sie sprengt“, indem sie etwa ihren Fortbestand mit dem Aufhäufen von Vernichtungsmitteln zu sichern sucht. Eine spannungsvolle Beziehung, die sich tatsächlich als Widerspruch nach am ehesten interpretieren läßt, wenn man abermals die Form des Selbstwiderspruchs zugrundelegt.

Beide Dimensionen der Widersprüchlichkeit können gewiß nicht beziehungslos nebeneinander bestehen. Eigentlich müssen die Widersprüche der Realität in den Gegenständen des begrifflichen Denkens auftauchen, während zwischen diesem Denken und jenen Gegenständen zugleich die Konfrontation von Begriff und Sache stattfindet, die als Widerspruch im Begriff bezeichnet wird.

Auf alle Fälle kann die Dialektik das konsequente Bewußtsein von Nichtidentität, das sie erklärtermaßen zu sein hat, in der Tat nur sein, indem die Nichtidentität als richtiggehender Widerspruch gewahrt und daraus Konsequenzen gezogen werden. Die Konsequenzen erblickt Adorno nun allerdings nicht in Vorgängen, die man innerhalb der dialektischen Tradition mal das Beheben von Widersprüchen, mal deren Lösung oder Aufhebung genannt hat, sondern in einem Geschehen, das er – durchaus überraschenderweise – die „Versöhnung“ nennt. Von der heißt es wörtlich:

DER VERSÖHNUNG DIENT DIALEKTIK

Die Idee einer Versöhnung unterstellt, daß es auch einen unversöhnten Zustand gibt. In einem solchen Zustand befinde sich zunächst die Nichtidentität des begrifflichen Denkens mit seinen Gegenständen, zumal in der reflektierten Form des Widerspruchs. Im unversöhnten Zustand wird sie auf eine besondere Weise erfahren. Als „das Negative“. Und daß sie als das Negative erfahren wird, soll heißen: Die zum Widerspruch kurzgeschlossene Nichtidentität wird erfahren als „zur Kritik stehend“. Negativ bedeutet danach soviel wie kritikwürdig.

Das Zur-Kritik-stehen findet seine Ausführung in vollzogener Kritik. Die Kritik soll dabei genau das sein, was schon der Widerspruch ist – Konfrontation des begrifflichen Denkens mit seinen Gegenständen und umgekehrt – aber dies als vorsätzliches, vom Denken eingesetztes Verfahren, das die Versöhnung bereitet. Als solches ist die Kritik allen Ernstes auf Fehlersuche und Fehlerkorrektur aus. Sie ermittelt: „Der Begriff hat bestimmbare Fehler.“ Ihm fehlen etwa die besonderen Bestimmungen, die sein Gegenstand an sich hat, von denen er jedoch absieht. „Das veranlaßt zu seiner Korrektur durch andere.“ Durch andere Begriffe. Die werden gesetzt und um den Gegenstand „versammelt“ zu einer „Konstellation“ von Begriffen. Diese Konstellation anderer Begriffe soll dem Bedürfnis genügen, den Gegenstand „ganz auszudrücken“, wenngleich sie das auf eine durchaus äußerliche oder veräußernde Weise tut, in der Art einer einer Konstellation eben. So wird der Vielheit, die der Gegenstand ausmacht, doch eingedacht, auf eine zwar äußerliche aber nicht mehr feindliche, ausschließende Weise – das soll die Versöhnung sein, „das Eingedenken des nicht länger feindseligen Vielen“.

Was an dem ganzen Gedankengang oder Gedankengewebe, wie Adorno das lieber nennt, das Dialektische ausmacht, drückt er bündig so aus: „über den Begriff durch den Begriff hinauszugelangen.“ Seines Erachtens bildet das die Idee der Philosophie überhaupt.

Die immanente Kritik, der er es zutraut, in der Weise eines gedanklichen Gewebes zur Korrektur der jeweils thematisierten Begriffe durch andere Begriffe auszuwachsen, faßt er – wohl der logischen Form nach – als eine besondere Negation. Und zwar als die bestimmte Negation. Den Begriff der bestimmten Negation will er von Hegel geerbt haben. Der verstand darunter die Negation-von-etwas, das heißt die Negation mit einem gewissen Inhalt, im Unterschied zu der inhaltslosen Negation, für welche er den Begriff des Nichts reservierte. Adorno bindet „bestimmte Negation“ darüber hinaus noch an eine weitere Bedingung: Das sei keine „positive Negation“.

KRITIK DER POSITIVEN NEGATION

An Adornos Auslegung der Dialektik ist nicht selten als eine Auffälligkeit vermerkt worden, bei der Kritik gesellschaftlicher Prozesse und Zustände stehen zu bleiben und an den sogenannten positiven Alternativen zu sparen. Etwa so, wie schon die „Dialektik der Aufklärung“ sich erklärtermaßen damit bescheidet, eine Kritik der Aufklärung zu bieten, die einen „positiven Begriff von ihr“ lediglich vorbereiten soll. Thomas Mann (1875 – 1955) hat während eines Briefwechsels mit Adorno im Jahre 1952 und angesichts von dessen Werk „Minima Moralia“ das vollständige Ausbleiben positiver Ausblicke bedauert: „Gäbe es nur je ein positives Wort bei ihnen, Verehrter, das eine auch nur ungefähre Vision der wahren, der zu postulierenden Gesellschaft gewährte! Einmal citieren Sie Lukács sehr zustimmend, und überhaupt sieht manches bei Ihnen nach einem geläuterten Kommunismus aus. Aber wie sieht der aus?“ Darauf antwortet ihm Adorno: „Nicht so gut daran bin ich bei ihrem grundsätzlichen Einwand, der Frage nach dem Positiven, und habe hier wirklich wenig anderes zu sagen, als daß ein Schelm mehr gibt, als er hat. Wenn mir etwas von Hegel und denen, die ihn auf die Füße stellten, in Fleisch und Blut übergegangen ist, dann ist es die Askese gegen die unvermittelte Aussage des Positiven; wahrhaft eine Askese, glauben Sie mir, denn meiner Natur läge das Andere, der fessellose Ausdruck der Hoffnung, viel näher. Aber ich habe immer wieder das Gefühl, daß man, wenn man nicht im Negativen aushält oder zu früh ins Positive übergeht, dem Unwahren in die Hände arbeitet.“ Die Antwort muß den Fragenden nicht unbedingt befriedigt haben. Eine „unvermittelte“ und voreilige Aussage des Positiven hatte der ja gar nicht vermißt und einklagen wollen. Daß man nichts zu früh tun sollte, auch nicht zu früh ins Positive übergehen sollte, versteht sich und konnte als Argument nur in ausweichender Weise angeboten werden. Später wird Adorno seine Haltung zu dem angesprochenen Fragepunkt konsequenter darlegen. In „Negative Dialektik“ stellt er eine Art von Verbot auf; demzufolge ist es „nicht gestattet, die Utopie positiv auszumalen.“ Die Absage an das positive Ausmalen wird ausdrücklich als säkularisierte Fassung des historisch vertrauten theologischen Bilderverbots präsentiert. Das säkularisierte Bilderverbot ist nicht der Scheu vor Voreiligkeit geschuldet, es bildet die logische Konsequenz einer „Kritik der positiven Negation“, die in der gleichen Schrift ausdrücklich geübt wird .

Diese Kritik soll jene Abweichung von der dialektischen Tradition ausführen, mit deren Ankündigung das Werk, wie schon vermerkt, gleich in den ersten Zeilen anfängt. Was genau bildet – unter dem begriffsgeschichtlich eher unvertrauten Titel „positive Negation“ – den Gegenstand von Adornos Kritik? Eine Auslegung der Negation, der zufolge aus der Negation etwas Positives „resultieren“ soll und kann, wie das Hegel unterstellt habe. Ebenso die Auslegung, daß die Negation der Negation „selbst, wie bei Hegel, Affirmation“ sei. Letzteres wird auch als „Gleichsetzung der Negation der Negation mit Positivität“ gefaßt. Beide Aspekte zusammengenommen, machen das aus, was unter dem Titel „positive Negation“ der Kritik unterzogen wird.

Inwiefern, mit welcher Begründung wird das kritisiert? Zum einen, weil in der Gleichsetzung der Negation der Negation mit Positivität die „Quintessenz des Identifizierens“ erkannt werden müsse, das heißt, der Wesenskern eines Denkens, das Ungleiches gleichmacht, einebnet, planiert, und das es in der negativen Dialektik gerade zu überschreiten gilt. Zum anderen, was gegen jene Gleichsetzung vor allem spreche, ist, daß sie der traditionellen Logik folgt, „welche more arithmetico minus mal minus als plus verbucht.“ Die kritisierte Gleichsetzung, die einer so kompromittierend einfaltigen Formel wie „minus mal minus = plus“, folgt, tauge gewissermaßen gar nicht zu einem respektablen Philosophieren.

An dieser Stelle wird deutlich, worauf die Kritik genau genommen Bezug nimmt. Es ist nicht eigentlich die Negation der Negation, wie sie namentlich Hegel im Sinn hat, sondern es ist die sogenannte doppelte Verneinung, die in der traditionellen Logik spätestens seit der mittleren Stoa als kanonisch geführt wird und die man später mit der Formel duplex negatio affirmatio est / doppelte Negation ist Affirmation festgelegt hat. Zu der in dieser Formel definierten doppelten Verneinung paßt wenigstens in etwa die flotte Gleichung „minus mal minus = plus“. Mit der doppelten Verneinung aber will die von Hegel in seinen starken Momenten gemeinte Negation der Negation nicht verwechselt werden. Davon war im vorliegenden Text ebenfalls bereits die Rede.

Gleichviel, ob Adornos Kritik die von Hegel tatsächlich gemeinten Figuren voll trifft oder nicht, sie läuft auf recht schlichte Aussagen hinaus: Die Negation ist nichts weiter als Negation; eigentlich stramm identisch. Aus Negation kann und soll unmöglich etwas Positives resultieren. Negation kann nichts bejahen, noch etwas Bejahenswertes bestimmen. Der Negation „ihr Positives wäre allein bestimmte Negation, Kritik“ Und die Kritik kann und soll nicht mehr sein als eben Kritik. Daran hält sich das „säkularisierte Bilderverbot“.

Mit diesen Aussagen muß allerdings nicht konform gehen, was der Autor ausführt, wenn er das Verfahren der negativen Dialektik in einem Gewebe von Aphorismen nach und nach darlegt. Es sei erinnert an den Gedankengang entlang der Begriffe „Kritik“, „Konstellation“ und „Versöhnung“. Danach steuert Kritik die Korrektur eines Begriffes mittels der Konstellation anderer Begriffe ein. Das wiederum mag sich so deuten lassen: Die durch Kritik, durch bestimmte Negation eingesteuerte Korrektur eines Begriffs vermittels der Konstellation anderer Begriffe läßt zusammen mit eben diesen anderen Begriffen etwas Positives sich einstellen.

 Abb.: Georg Baselitz, S-R negativ

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