Kosmos und Welt – differente Räume

Kosmos bedeutet urtümlich Schmuck und im übertragenen Sinne Wohlgeordnetheit, schließlich auch Himmelsschmuck. Desgleichen das lateinische Wort mundus. Beide Ausdrücke werden vom wissenschaftlichen und philosophischen Denken mit der metaphorischen Bedeutung Himmelsschmuck aufgelesen. Alexander von Humboldt meinte belegen zu können, „daß Pythagoras zuerst den Inbegriff des Universums Kosmos nannte wegen der darin herrschenden Ordnung.“ (Kosmos, Ffm. 2004, S. 33). Danach meint der Begriff des Kosmos nicht das Universum schlechthin und überhaupt, sondern das wohlgeordnete Universum. Analog der Begriff mundus. In dieser alten und eiigentlichen Prägung die Begriffe Kosmos und mundus mit den Begriffen der Welt oder des Weltalls ins Deutsche übertragen zu wollen, ist riskant, ja genau genommen falsch. Eine mustergültige Ausführung des alten Kosmosbegriffs bietet die Schrift Über den Kosmos von Pseydo-Aristoteles. Weil das All von einer aus Gegensätzen gebildeten Harmone durchzogen wird, heißt es dort, deshalb und nur deshalb trägt das All in Wahrheit den Namen Kosmos, schmuckvolle Ordnung, und nicht etwa den Namen Akosmia, Unordnung (VI, 399a).

Es gibt eine eigentümliche Räumlichkeit des Kosmos. Es handelt sich dabei um eine gewisse Gestalt, eine gewisse Auslegung oder verwandelte Form der Gegebenheit in extensio. Um eine typische Weise, wie das Wohlgeordnete als solches dem Menschen gegeben ist. Es ist ein bestimmtes Konfiguriertsein, ein bestimmter Zusammenhang des Menschen mit allem anderen, was das Universum zum Kosmos macht. Kurz gesagt, ist es dies: Als ein kosmisches, wohlgeordnetes kann das Universum weder objektiv noch subjektiv, sondern nur   schlechthin vorausgesetzt sein. Was meint das: vorausgesetzt? Die Wohlordnung ist als solche vollkommen und vollendet. Mithin auch endlich. Was seinen angemessenen Ausdruck darin fand, daß in der antiken Kosmosmetaphysik und der mittelalterlichen Ordometaphysik die Annahme der Endlichkeit des kosmischen Raumes bei weitem überwog und gegenteilige Annahmen eher als abweichende kursierten. Als eine endliche und vor allem vollendete, vollkommene Ordnung kann die typisch kosmische Wohlordnung niemals zum Objekt von Subjekten geraten, es sei denn im Frevel an ihr. An ihr gibt es nichts tätig zu verändern. Der Kosmopolit findet sich naturgemäß überall mit dem vollendeten Universum konfrontiert, hat sich seiner Ordnung nur noch einzufügen, oder aber er verletzt sie, wie Hans Blumenberg schreibt (Die Legitimität der Neuzeit, Ffm 1997, S. 245). Ein Symptom dessen fand Blumenberg in der stoischen Doktrin, wonach der Himmel einzig und allein Sache der reinen Theorie, der theoretischen Kontemplation sein kann und darf, zum Menschen in absoluter Distanz steht, niemals Produkt menschlicher Fertigkeit oder auch nur Gegenstand menschlichen Eingriffs sein kann (Die Genesis der kopernikanischen Welt, Ffm 1985, S. 28). Die Wohlgeordnetheit, die das Universum zum Kosmos macht, ist per se kein Objekt für Subjekte, kann niemals von Subjekten zum Objekt gemacht, als Objekt gesetzt werden, es sei denn im Frevel. Statt objektiv zu sein, ist sie vorausgesetzt. Und vorausgesetzt ist sie nicht nur in einem bestimmten und steigerbaren Niveau, sondern schlechthin. Sogar die Dienstbarkeit der wohlgeordneten Dinge ist den in Dienst nehmenden Wesen vorausgesetzt und nicht etwa eine von ihnen tätig zu entwickelnde Kapazität. Im Kosmos findet sich für Objektivität und Subjektivität kein Platz, höchstens im frevelhaften Abfall von seiner Ordnung. Dem entspricht es, daß weder im antiken noch im frühmittelalterlichen Philosophieren die Begriffspaare Objekt und Subjekt, Objektivität und Subjektivität vorkommen. Soweit der lateinische Ausdruck subiectus dort Anwendung fand, tat er das mit der urtümlichen Bedeutung, die ihn nahezu zum Synonym von Substrat machte: mit der Bedeutung das unter etwas Liegende. Daran schloß direkt eine Anwendung auf Personen an: subiecti, die Unterworfenen. Was der für das neuzeitliche Philosophieren so bedeutsam gewordene aktivistische Subjektbegriff gerade nicht meint; subiectum, das Subjekt ist spätlateinischen Ursprungs und zeigt bereits einen galoppierende Kosmosverfall an.

Auch wenn das landläufige Wörterbuch und die verbreitete Übersetzungspraxis etwas anderes suggerieren, Welt steht nicht synonym zu Kosmos und mundus. Welt hat eine althochdeutsche Vorgängerlautung: weralt. Und mit weralt, so wissen Etymologen zu berichten, haben die Altvorderen ausdrücklich nicht mundus übersetzt, sondern saeculum. Welt ist säkularer Raum – das ist dem Begriff von Alters her eingeschrieben. Deshalb übertragen wir säkular üblicherweise mit weltlich. Aus dem gleichen Grunde war die Wortbildung Verweltlichung als Synonym zu Säkularisierung möglich. Saeculum aber meint etwas anderes als mundus. Und das so sehr, daß man sich unter Säkularisierung, unter Verweltlichung alles andere als eine Art Kosmisierung des Universums vorstellen wird, eher noch mag man dabei an so etwas wie eine Entkosmisierung denken. Es ist semantisch nicht korrekt, bei dem schon zitierten Text von pseydo-aristotelischer Herkunft den Titel Peri kosmon mit Über die Welt zu übersetzen (Aristoteles, Werke in dt.Übersetzung, Bd. 12 II). Ein Buch über Welt und Weltlichkeit könnte niemals mit jenem antiken Text die Hauptthesen teilen. Heraklits Gedanken kosmon tonde, ton auton apantwn überträgt Diels mit: Diese Weltordnung, dieselbe für alle Wesen (SV 22 B 30). Diels übersetzt so, als könnte es Weltordnung ausschließlich im Singular geben. Typisch weltlich ist dagegen, daß es Welt nur als viele Welten geben kann. Einzig und allein einer muß dagegen der Kosmos sein. Über den sprach Heraklit, nicht über eine Welt. Dessen vollkommene Wohlgeordnetheit kann es in der Tat nur einmal geben. Die Rede von kosmoi – bei Epikur und vorsokratischen Atomisten – stellt de facto jene Vollkommenheit in Abrede und wirkt schon deshalb ungereimt. Auch die Synonymsetzung von Kosmopolit mit Weltbürger mutet unbedacht an. Genau genommen steht der Kosmopolit in einer entschieden anderen Beziehung zum Universum als der Weltbürger. Der Kosmopolit ist kein Subjekt, der Weltbürger sehr wohl. Ein Bewußtsein von der Differenz muß Fichte gehabt haben, als er sich einen Akosmisten nannte (Fichte’s sämtliche Werke, Bd. V, S. 269). Er wußte sich in einer Welt, unbeschadet dessen verstand er sich als Akosmist. Folgerichtig kommt das nur, wenn Welt und Kosmos differieren. Davon ist auszugehen: Kosmos und mundus einerseits sowie Welt und Weltall andererseits meinen unterschiedliche Kulturräume. Wie unterscheiden sie sich? Was ist das Weltliche an der Welt?

Dem Weltlichen an der Welt recht nahe gekommen ist Ludwig Wittgenstein mit einer im Tractatus logico-philosophicus gegeben Definition: Die Welt ist die Gesamtheit der Tatsachen, nicht der Dinge (1.1). Was besagt die Definition? Sie besagt, daß nicht die Dinge an sich zur Welt konfigurieren, zur Welt konfigurieren diese Dinge erst in einer bestimmten Rolle, nur weil und insofern sie als Tatsachen figurieren. Das heißt,  nur weil und insofern sie zur Sache-der-Tat geraten sind.  Zur Welt konfiguriere alles erst, indem es als Sache der Tat figuriert. Gerade insofern hängt es untereinander in einer Weise zusammen, die den bezeichnenden Ausdruck Sachverhalt verdient. Weshalb die zitierte Definition auch folgendermaßen umformuliert werden kann: Die Gesamtheit der bestehenden Sachverhalte ist die Welt (2.04). Was einzig und allein in der Rolle, Tatsache zu sein, Sache der Tat zu sein, konfiguriert, bildet damit gewiß eine Ordnung aus, aber doch eine andere Ordnung als die Wohlordnung. In der Welt ist alles, wie es ist, und geschieht alles, wie es geschieht; es gibt in ihr keinen Wert – und wenn es ihn gäbe, so hätte er keinen Wert (6.41). Insofern wie alles nur als Sache der Tat zur Welt konfigurieren kann, darf der leibhaftige Täter sagen, daß die Welt meine Welt ist (5.62). Wenn alles stets nur als Sache der Tat zur Welt konfdiguriert, dann muß der leibhaftige Täter die Weltlichkeit aber auch  auch als eine wie immer näher zu beschreibende Unverfügbarkeit gewahren, muß er zur Kenntnis nehmen: Die Welt ist unabhängig von meinem Willen (6.373). Soweit die wichtigsten Elemente des Weltbegriffs vom Autoren des Tractatus. Dieser Begriff wurde in der richtigen Denkrichtung gebildet. Das Weltliche an der Welt haben wir nicht darin zu suchen, wie alles als etwas an sich Seiendes konfiguriert, sondern darin, wie es als etwas für uns Gegebenes konfiguriert. Sogar die Behauptung einer Unabhängigkeit der Welt von meinem Willen weist in diese Denkrichtung. Solche Unabhängigkeit könnte es nur für den Wollenden geben; nichts kann an sich unabhängig von einem Willen sein. Und es liegt auf der Hand, anders als die kosmische Wohlordnung kann die Für-uns-Gegebenheit unmöglich schlechthin vorausgesetzt sein. Wittgestein sieht diese Figur nun schon von der Tat-Sache erfüllt. Da greift er zu kurz, weil der Begriff der Tatsache zu weit ausfällt.

Abb.: Caspar David Friedrich, Zwei Männer am Meer

 

 

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