Das Deutsche Institut für Menschenrechte hat im April dieses Jahres erneut vorgeschlagen, den Begriff „Rasse“ aus dem Grundgesetzt zu streichen. Begründet wird das in einer Publikation des Instituts zusammenfassend mit zwei Argumenten: Erstens suggeriere der Gebrauch des Begriffs, „daß es unterschiedliche menschliche Rassen gebe“, während es in Wirklichkeit, das meint der Wortlaut offenkundig, gar keine gibt. Zweitens sei „jede Theorie, die auf die Existenz unterschiedlicher menschlicher ‚Rassen‘ abstellt, in sich rassistisch“.[1]
Das letztere Argument, wonach schon die bloße Annahme der Existenz unterschiedlicher menschlicher Rassen per se rassistisch ausfalle, ist gewiß falsch. Rassismus besteht nicht schon in der Behauptung der Existenz menschlicher Rassen, sondern erst in der Behauptung einer Ungleichwertigkeit zwischen ihnen. Rassistisch denkt nicht, wer annimmt, daß es menschliche Rassen gibt, rassistisch denkt, wer glaubt, daß sie sich wie minderwertige und höherwertige unterscheiden würden, wer also ein werthaltiges Niveaugefälle zwischen ihnen behauptet. Dadurch erst diskriminiert er. Und allein der diskriminierende Diskurs über Rassen erfüllt den Begriff des Rassismus. Es gibt aber nicht nur den diskriminierenden Diskurs über menschliche Rassen, sondern auch einen nicht diskriminierenden. Der nicht diskriminierende Diskurs ist über viele Jahrzehnte geführt worden – gegen den diskriminierenden, gegen Rassismus. Seine logische Voraussetzung bestand und besteht in der Prämisse: es gibt Unterschiede zwischen großen Menschengruppen, die keine Ungleichwertigkeiten darstellen; es können große Menschengruppen wirklich existieren und sinnfällig sich voneinander unterscheiden, ohne sich werthaltig zu unterscheiden, ohne wie Minderwertiges und Hochwertiges zu differieren. Diese Prämisse müßte man außer Geltung setzen, wenn man bereits die schlichte Annahme der bloßen Existenz von Rassen innerhalb der menschlichen Gattung in einer logisch halbwegs folgerichtigen Weise des Rassismus bezichtigen wollte. Konsequenterweise müßte man dann unterstellen, alle Existenz und Verschiedenheit von großen Menschengruppen sei an sich schon eine werthaltige, eine ungleichwertige. Eine solche Unterstellung aber würde geradewegs in die Totalisierung des diskriminierenden Denkens münden.
Zu dem anderen Argument, demzufolge der Begriff der Rasse aus dem Grundgesetz gestrichen werden soll, weil seine Verwendung suggeriert, daß innerhalb der Menschheit verschiedene Rassen existieren, während es in Wahrheit solche Rassen gar nicht gebe. Es gibt keine menschlichen Rassen, heißt es auch in einem Papier der UNESCO, das im Vorfeld der Konferenz „Gegen Rassismus, Gewalt und Diskriminierung“ von 1995 verfaßt wurde.[2] Danach gibt es zwar Schwarze, Weiße und vergleichbare Gruppierungen, nicht jedoch als Rassen. Bei der vermeintlichen Entschlüsselung des menschlichen Genoms wurde es sogar als ein besonders wichtiges Untersuchungsergebnis herausgestellt, daß die genetischen Unterschiede zwischen Weißen, Schwarzen usw. – prozentual gesehen – sehr geringfügig ausfallen, viel zu geringfügig, um eine Statuierung als Rassen rechtfertigen zu können. Wann immer in der jüngeren Geschichte von natürlichen menschlichen Rassen gesprochen wurde, müßte es sich dabei also um den Akt oder Ausdruck bloßer Erfindungen gehandelt haben. Daß die sogenannte „jüdische Rasse“ eine pure Erfindung der Nazis war, gilt weithin als unstrittig. Hinzuzufügen wäre aber, daß auch die vier „Racen der Menschen“, die Immanuel Kant, dieser philosophische Anwalt der Aufklärung und der Menschenwürde, unterschied[3], als Erfindung verbucht gehören. Für einen Moment möchte ich mich auf all dies einlassen und will dazu auch darüber hinwegsehen, daß die erwähnte genetische Argumentation mit ihrer durchdringenden prozentrechnerischen Diktion wohl kaum etwas mehr zu bezeugen vermag als die Begrenztheit der heutigen Deutung des menschlichen Genoms. Was ergibt sich dann in der Konsequenz? Wenn Weiße, Schwarze und vergleichbare Gruppierungen keine Rassen sind, dann kann eine Diskriminierung von Schwarzen oder eine Diskriminierung von Weißen usw. keine Rassendiskriminierung, kein Rassismus sein. Wie sollte man eine Diskriminierung von Angehörigen nichtrassischer Gruppierungen logisch folgerichtig als Rassendiskriminierung, als rassistische Diskriminierung bezeichnen dürfen. Eine sehr bedenklich stimmende Konsequenz. Man wendet sich gegen Rassendiskriminierung, tut das aber so, daß der Begriff derselben unanwendbar wird. Und wird der Begriff der Rassendiskriminierung unanwendbar gemacht, kann die Sache selbst nicht mehr begrifflich konsistent kritisiert werden. Es ist – auf logisch folgerichtige Weise – nicht möglich, zugleich zu postulieren, daß kein Mensch als Angehöriger einer Rasse bezeichnet werden darf und daß kein Mensch einer Rassendiskriminierung ausgesetzt werden darf.