Vom Absoluten

Es gibt ein philosophisch methodisches Gebot, das lautet:

(1) Du sollst nichts absolut setzen.

Was folgt daraus?

(2) Wenn ich nichts, wirklich gar nichts absolut setzen soll, dann darf ich nicht einmal das Vermeiden des Absolutsetzens verabsolutieren.

Wie aber kann ich es vermeiden, auch nur das Vermeiden des Absolutsetzens zu verabsolutieren? Allein indem ich doch etwas absolut setze. Das heißt:

(3) Um in der Tat nichts absolut zu setzen, um mithin nicht  einmal das Vermeiden des Absolutsetzens zu verabsolutieren, muß ich etwas absolut setzen.

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Über Judith Butlers „Kritik der ethischen Gewalt“ – Eine Glosse

Es war einmal ein überaus romantisch gestimmtes Ich, das dünkte sich souverän in seinem Gehäus. Was mich selbst ausmacht, frohlockte es, müßte ich doch auch von selbst geworden sein, aus mir selbst heraus gewissermaßen. Aber da erhielt es die Kunde, einer Illusion aufgesessen zu sein. Es wurde darüber belehrt, wie wenig es sich der reinen Selbstsetzung verdankt und wie  sehr es kraft der Anderen da ist . Allmählich begriff es die in ihrer Nüchternheit so brutale Wahrheit: Am Anfang war ich lediglich ein Verhältnis zu den Anderen, nichts weiter als mein Verhältnis zu einem Du. Also „ist das ‚Ich‘, das ich bin, ohne dieses ‚Du‘ gar nichts, und es kann sich außerhalb des Bezuges zum Anderen, aus dem seine Fähigkeit zur Selbstbezüglichkeit überhaupt erst entsteht, nicht einmal ansatzweise auf sich selbst beziehen“ (S. 92/93). Ihm war’s, als bräche sein Gehäus zusammen, gleichsam besitzlos fühlte es sich, wie „durch seine gesellschaftlichen Entstehungsbedingungen enteignet“ (S. 20). So abrupt aus ipsistischen Träumen gerissen, empfand es seine Lage als eine des blanken „Ausgeliefertseins“ an  die Anderen (S. 86). Zu allem Überdruß blieb es mit den Gefühlen, die es bestürmten, auch noch allein. Niemand sonst, der sich überrascht zeigte von der Kunde. Alle wußten längst Bescheid.

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Zehn Jahre Rechtschreibreform

Am Anfang stand ein fragwürdiger Anspruch: Der deutsche Sprachgebrauch, hieß es, soll vereinfacht werden, um den Schülern das Schreibenlernen zu erleichtern. Aber Sprache ist Kultur, und Kultur vereinfacht man nicht. Das einzige, was zur Kultur paßt, ist, sie zu bereichern.

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Der Schlußstein im Gewölbe der abendländischen Kultur

Es „ist verboten, einem anderen das Leben zu nehmen, außer wenn die Scharia es verlangt.“ Das ist  natürlich kein  typisch abendländischer Rechtsgrundsatz. Vielmehr handelt es sich um den Artikel  2a aus der „Kairoer Erklärung der Menschenrechte im Islam“ von 1990. Er ordnet das Lebensrecht jedes Menschen der Scharia, der Rechtsordnung des Islams unter.  Ganz ähnliche Einschränkungen machen zahlreiche Artikel der Kairoer Menschenrechtserklärung. So auch der über die körperliche Unversehrtheit. „Das Recht auf körperliche Unversehrtheit wird garantiert … außer wenn ein von der Scharia vorgeschriebener Grund vorliegt.“ (Artikel 2b).  Was bedeutet es, wenn Artikel, die Menschenrechte zu erklären verheißen,  wiederholt den Verweis auf die Scharia wie eine Klausel angehängt bekommen? Leben und körperliche Unversehrtheit des Individuums haben danach zwar einen Wert, aber doch nur einen bedingten. Sie haben keinen unbedingten Wert, keinen absoluten Wert. Und das heißt, sie gelten wohl als Werte, nicht aber als Würde.

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Bloch über das Dasein

„Nur das kann da sein, das auf mehr, als es schon ist, sich versuchend bezieht.“ So steht’s bei Ernst Bloch geschrieben, in seinem Spätwerk „Experimentum mundi“ (Gesamtausgabe Bd. 15, S. 70). Ich darf den Satz etwas pointieren: Etwas ist nur da, kann ein Dasein nur haben, indem es (tendenziell) mehr ist, als es schon ist. Ohne mehr zu sein, als es schon ist, könnte es überhaupt nicht sein. Indem es gerade in dieser Weise ein Dasein hat, schießt es per se über. Dasein luxuriert, so läßt sich das zusammenfassen. Dergestalt wird Dasein als kraftvoll gefaßt.

Der Satz meint etwas anderes als die These, etwas könnte nur Dasein haben, indem es auch seine eigene Negation ist und vermittels dessen über sich hinaus treibt. Diese These paßte gut zu Hegels Denkweise. Dagegen jener Satz zur Konsequenz hat, daß etwas ganz ohne alle negative Vermittlung über sich hinaus treibt, einfach kraft überschießender Fülle. Das erinnert an eine Denkfigur, die Plotin in die abendländische Philosophie eingeführt hat und die seitdem periodisch in allen möglichen Regionen der Ideengeschichte auftauchte, etwa in Nietzsches Denken und Cantors Mengentheorie (s. 03. 11. 08). – Biographisch nimmt Blochs Philosophieren seinen Ausgang auch bei Hegels Prinzip der Negativität. In seinem Spätwerk jedoch langt er bei einer durchaus alternativen aber doch immer noch dialektischen Denkform an.

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Das Übersinnliche oder der Geist (spiritus)

Für Kant gehören Ideen des Übersinnlichen wie beispielsweise die Idee einer Kausalität in Freiheit unveräußerlich zur Systematik des rationalen Philosophierens. Ein Bestehen will er dem Übersinnlichen allerdings keinesfalls aus theoretischen Gründen, sondern einzig und allein aus praktischen Gründen  zusprechen. Allein aus Postulaten der moralisch-praktischen Vernunft (Kants gesammelte Schriften, Bd. VIII, S. 418).  Hegel läßt diese Einschränkung fallen, läßt das Übersinnliche mehr sein als eine praktisch unumgängliche Idee. Aber die von ihm betriebene Beförderung des Übersinnlichen will ihm nur um den Preis einer Verwechslung mit dem Unsinnlichen gelingen. Auf das Übersinnliche meint er nämlich in jenem ruhigen Reich der Gesetze gestoßen zu sein, das den  unruhig wechselnden  und sinnlich wahrnehmbaren Erscheinungen obwaltet. (Gesammelte Werke, Bd. 9, S. 91).  Und dieses Reich erweist sich näher besehen bloß als eine Sphäre des Unsinnlichen. Denn von den Gesetzen heißt es in der Phänomenologie des Geistes nicht ganz zu Unrecht, sie bestünden jenseits der wahrnehmbaren Welt und fänden iediglich an den von ihnen regierten Erscheinungsformen eine wahrnehmbare Darstellung. Das heißt, das Gesetz ist das, was Sinnlichkeit zwar unmittelbar vermissen läßt, jedoch mittelbar durchaus erlangt, indem es sich an seinen Erscheinungsformen  und deren beständiger Veränderung sinnlich darstellt. Genau das tut typischerweise das Unsinnliche. Mit ihm hat Hegel das Übersinnliche  vermengt.

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De dignitate hominis

Hein Menzel, Jahrgang 1951, ist arbeitsloser Historiker. Die eine Hälfte seiner geräumigen Wohnung im Berliner Friedrichshain nahe der beliebten Simon-Dach-Straße hat er an eine belgische Studentin älteren Semesters untervermietet. Anfang Januar standen plötzlich zwei junge Frauen vor der Tür, die sich als Mitarbeiterinnen vom Prüfdienst des Jobcenters vorstellten. Sie würden gerne seine Wohnverhältnisse überprüfen und ermitteln, ob er von der Mitbewohnerin tatsächlich getrennt lebe; es könnte ja sein, daß er zu Unrecht Leistungen in voller Höhe beziehe. „Die beiden sahen das französische Bett in meinem Schlafzimmer – ich war vor Jahren noch verheiratet – und baten mich, das Bettdeck zurückzuschlagen. Ich fragte sie, wozu. Am Laken kann man so manches erkennen, gab die eine schmunzelnd zur Antwort. Mir verschlug es die Sprache. Und könnten Sie uns jetzt den Wäscheschrank zeigen, fragte die andere. Könnten sie eben mal die Unterhosen anheben? Und dieses rote Höschen, ist das Ihres? Ich nickte nur. Aber so etwas Aufreizendes ist doch eher ungewöhnlich für einen älteren Herrn, bemerkte spitz die erste, und einen Schlitz hat es auch nicht. Ich bekam es nicht fertig, ihr zu erwidern. Schamgefühle legten mich völlig lahm.“

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Eine plotinische Figur

Im 3. Jahrhundert entwickelte Plotin eine spannungsvolle Denkfigur. Erstmals aufgeboten hat er sie bei dem Versuch, die urtümliche Genese des Alls zu denken. Daß alles aus Einem hervorgegangen sein muß, war ihm bereits gewiß. Aber wie konnte alles aus dem Einen hervorgehen, wie aus einem  Einfachen  all das Vielgestaltige werden, das sich zum Universum ausgebreitet  und gefügt hat? Seine Antwort: Indem jenes Eine unbeschadet seiner Einfachheit doch „von einer vollkommenen Fülle ist – es sucht ja nichts, hat nichts, braucht nichts – so ist es einfach übergeflossen,und seine Überfülle hat das Andere hervorgebracht.“ (Enn. V 2, 1) Aus dem Einen konnte alles andere werden, weil und insofern es eine Überfülle ausmacht und als  solche einfach überschießen muß – hin zum Anderen. Die Figur, die an der zitierten Textstelle in einen kosmologischen Kontext eingearbeitet ist, läßt sich in Reinform folgendermaßen auszeichnen. Es handelt sich bei ihr um eine Art, gedanklich vom einen zum anderen überzugehen. Besser gesagt, es handelt sich um eine eigentümliche Art und Weise, wie das Eine ins Andere übergeht. Nämlich so, daß es von sich aus über sich hinausgeht, und dies einzig und allein kraft einer Überfülle, vermittels überschießender Fülle. Weshalb das Eine im Anderen auch nicht aufgeht, sondern überfließend bleibt. Diese Figur hat Plotin in das abendländische Philosophieren eingeführt. Etwas geht kraft überschießender Fülle von sich aus über sich hinaus, hin zum Anderen, aber ohne in diesem aufzugehen. Daß seine Innovation Anregungen weiterführt, die vor allem der persischen Ideenwelt entstammen und  von seinem Lehrer Ammonios übermittelt wurden, gilt als erwiesen.

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Sprüche

Der Mensch rechnet sich nicht.

Beim Geld hört die Feindschaft auf.

Nur die Beschränktheit scheint schier schrankenlos.

Der Spezialist steht im Stoff, aber nicht darüber.

Was heute unter Tabu steht, sind vor allem die Tabus.

Das Tabu sagt „Nein“ zur Begierde, aber im Nachhall schwingt ein listig lockendes „Ja“ mit.

Wirklich schön ist allein eine Macht – die charismatische.

Eigenwille ist, anders zu wollen, als man will.

Wer heutzutage viele Fragen aufwirft, will nicht unbedingt Antwort bekommen.

War Marx  Marxist?

Immer schöner muten die Fassaden in meinem Berlin an – mit Häusern meint es der Kapitalismus besser als mit  Menschen.

Es gibt immer ein wahres Leben im falschen, sagte die starke Lebenskraft.

Ausgelacht zu werden, ist das machtvollste Werturteil, das man über uns fällen kann.

Achtung lobhudelt nicht.

Das Übliche ist nur allzu oft das Üble.

Eine Identität habe ich nur für die Polizei, für meine Freunde  habe ich  Individualität.

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Selbstmordattentäter

Die Erfindung des systematisch und weltweit einsetzbaren Selbstmordattentäters stellt eine historische Kreation dar. Sie unterläuft die Logik des Krieges. Sie variiert diese Logik nicht bloß, sie unterwandert sie, hebelt sie aus. Die Logik des Krieges läßt sich kurz und knapp wie folgt beschreiben. Jeder Kombattant trachtet danach, so viel Feinde wie möglich zu töten und selbst am Leben zu bleiben. Dem Gegner das Leben nehmen und selber überleben. Deshalb ja auch die ganze Entwicklung des Sichunsichtbarmachens, von der einfachen Deckung bis zu den Tarnkappenbombern; oder die Entwicklung der Panzerung, vom Brustpanzer der Berittenen bis zu den modernen Panzermaschinen. Das Ziel ist immer, so viel als möglich Feinde töten zu können, ohne das eigene Leben lassen zu müssen. Im Krieg siegen kann man nur über einen Gegner, der überleben will. Genau diese Logik unterläuft der sogenannte Selbstmordattentäter. Er will zwar auch möglichst viele Feinde töten, aber er will dabei nicht selber übrigbleiben. Er vernichtet das Leben anderer, gerade indem er das eigne nicht nur aufs Spiel setzt, sondern vorsätzlich aufgibt.

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