Nachstehende kurze Abhandlung liest man am bestem als Weiterführung eines Eintrags vom 16. Oktober 2012, der Hegels dialektische Methode nachvollzieht. Sie soll die Ausführung dieser Methode demonstrieren, anhand eines ausgewählten Kapitels der „Wissenschaft der Logik“. Es handelt sich um das erste. Pikanterweise ist das jenes Kapitel, in dem die Methode, genauer gesagt das Prinzip der Negativität, erst fundiert wird. Es spricht vom Sein, vom Nichts und vom Werden. Es tut das in acht Denkschritten, die sich in einer denkbar knapp gehaltenen Ableitung und mehreren Anmerkungen merkwürdig ausgebreitet finden.
1. Am Anfang war das Sein. Das Sein aber, das den Anfang jeglicher Entwicklung zu bilden vermag, das buchstäblich uranfängliche, muß ein schlechthin unmittelbares, rundum voraussetzungsloses ausmachen. Es muß allen besonderen Formen des Seins wie z. B. dem Dasein oder der menschlichen Existenz zuvorkommen. Es wird darum „reines Sein“ genannt. Ein Sein, für das sich kein einziges Bespiel und keinerlei Phänomen angeben läßt. – Am Anfang steht also das reine Sein. Eben dort setzt eine logische Bewegung ein, die schrittweise bis zur Kategorie des Werdens führt.
2. Reines Sein ist völlig unbestimmt. Als ein reines kann es unmöglich irgendeine Bestimmung haben. Ansonsten wäre es bereits irgendein bestimmtes, vermitteltes Sein und nicht das uranfängliche. So läßt es sich auch nicht definieren. Um dem Definieren zugänglich zu sein, müßte es eine Besonderheit in der Art des artbildenden Unterschieds aufweisen. Das tut reines Sein mitnichten. Es kann nicht einmal einfach sein, bestimmungsarm, es muß nachgerade bestimmungslos ausfallen.
3. Als etwas Bestimmungsloses weist das reine Sein Negativität auf. Seine Unbestimmtheit selbst ist das Negative. Reines Sein fällt sogar dermaßen radikal unbestimmt – und in diesem Sinne negativ – aus, daß es schon heißen muß, es sei nicht mehr und nicht weniger als Nichts. Weil „das Sein das Bestimmungslose ist, ist es nicht die Bestimmung, welche es ist, also nicht Sein, sondern Nichts.“ (Hegel, Ges. Werke, Bd. 11, S. 51).
4. Das Nichts ist die „vollkommene Leerheit, Bestimmungs- und Inhaltslosigkeit“. Jedenfalls das reine Nichts, das allen bestimmten Formen des Nichts – etwa dem Nichtsein, der Negation von Sein – genauso zuvorkommt, wie das reine Sein schon allem bestimmten Sein zuvorkommt. Es ist dieselbe Bestimmungslosigkeit, die bereits für reines Sein festzuhalten war. So sind beide dasselbe.
5. „Das reine Sein und das reine Nichts sind dasselbe.“ (S. 44). Ein Satz, den Hegel zu dem Härtesten zählt, was das Denken sich zumuten kann. Der Satz meint natürlich nicht, es wäre völlig gleichgültig, ob z. B. der Leser dieser Zeilen existiert oder nicht existiert. Bei des Lesers Existenz handelt es sich bereits um ein bestimmtes Sein, um menschliche Existenz, und für das bestimmte Sein kann, muß und darf nicht geltend gemacht werden, was allein dem reinen zukommt. Einzig vom reinen Sein gilt, daß es dasselbe wie das reine Nichts ausmacht.